Bronchiolitis
Pädiatrie
Steckbrief
Die Infektion der Bronchioli terminales und respiratorii ist eine vor allem im ersten Lebensjahr häufige und häufig schwer verlaufende Erkrankung. Die Diagnose wird nach klinischen Kriterien gestellt. Die Therapie beschränkt sich auf supportive Maßnahmen. Mit einer Passivimmunisierung können Säuglinge und Kleinkinder mit erhöhtem Risiko für einen schweren Verlauf vor einer Infektion mit dem häufigsten Erreger RSV (respiratorisches Synzytial-Virus) geschützt werden. Bronchiolitiden gibt es auch in einem anderen Kontext, insbesondere als Komplikation nach Lungentransplantation. Diese Erkrankungen werden an anderer Stelle behandelt.
Synonyme
- Bronchiolitis
- Atemwegsinfektion
- Infektion der unteren Atemwege
Keywords
- Bronchiolitis
- Atemwegsinfektion
- Infektion der unteren Atemwege
- small airway disease
- kleine Atemwege
- RSV
Definition
Unter akuter viraler Bronchiolitis versteht man die Infektion der Bronchioli terminales und der Bronchioli respiratorii durch Viren, allen voran RSV (respiratorisches Synzytial-Virus), seltener viele andere Viren, die Atemwegsinfektionen hervorrufen können.
Zu berücksichtigen ist, dass der Begriff Bronchiolitis in den USA etwas anders verwendet wird als in Europa, dort nämlich auch oft das Krankheitsbild einbezieht, das man hier als obstruktive Bronchitis bezeichnet. Im deutschsprachigen Raum ist die saisonale Viruserkrankung im ersten Lebensjahr gemeint, die neben den Zeichen einer Entzündung der kleinen Atemwege auch durch Schnupfen charakterisiert ist.
Epidemiologie
- Im ersten Lebensjahr ist die akute virale Bronchiolitis der häufigste Grund für eine stationäre Behandlung.
Häufigkeit
- Ungefähr jedes zehnte Kind ist im ersten Winter seines Lebens von einer akuten viralen Bronchiolitis betroffen.
Altersgipfel
- Definitionsgemäß handelt es sich um eine Erkrankung des ersten Lebensjahres. Die Manifestation fokussiert sich auf den Winter.
Geschlechtsverteilung
- Von der Erkrankung betroffen sind vor allem Säuglinge und Kleinkinder in den ersten beiden Wintern ihres Lebens.
Prädisponierende Faktoren
- Risikofaktoren für einen schweren Verlauf einer akuten viralen Bronchiolitis sind:
- das männliche Geschlecht
- das geringe Alter
- ein niedriger sozioökonomischer Status
- Tabakexposition
- die Infektion mit RSV im Vergleich zu anderen Viren
- Stillen reduziert das Risiko zumindest für einen schweren Verlauf einer akuten viralen Bronchiolitis.
Ätiologie und Pathogenese
- Hervorgerufen wird die akute virale Bronchiolitis durch Viren, allen voran RSV, auch durch humanes Bocavirus, Rhinovirus, humanes Metapneumovirus, Influenzaviren A und B, Parainfluenzaviren 1–3.
- Die Virusinfektion ruft durch Inflammation einen ausgeprägten Schaden des respiratorischen Epithels in den Bronchiolen hervor.
- Die teilweise Verlegung der kleinen Atemwege führt zur inhomogenen Belüftung der Lunge mit Beeinträchtigung vor allem der Exspiration und resultierender Überblähung.
- Diese sieht man neben fleckförmigen Verschattungen auch auf Röntgenaufnahmen des Thorax.
- Die vollständige Verlegung der kleinen Atemwege bewirkt eine Atelektase, bei dieser Erkrankung besonders häufig im rechten Oberlappen.
- Die vermehrte Atemarbeit und der dadurch beeinträchtigte Gasaustausch führen zu den klinischen Zeichen mit dem Leitsymptom Tachydyspnoe. Die dadurch bedingte Beeinträchtigung beim Trinken ist oft ein Grund für stationäre Behandlung.
Symptomatik
- Am Beginn der akuten viralen Bronchiolitis steht oft eine übliche Infektion der oberen Atemwege mit dem Leitsymptom Schnupfen.
- Es kommen dann die allgemeinen Zeichen einer Infektion hinzu, beispielsweise erhöhte Temperatur, selten hohes Fieber.
- Das Vollbild der akuten viralen Bronchiolitis umfasst Atemnot, Tachypnoe und Tachydyspnoe, Apnoe-Episoden, Zyanose.
- Sehr typisch ist die Überblähung, erkennbar an vergrößertem Thoraxdurchmesser posterior-anterior, der verminderten Thoraxbeweglichkeit und der deshalb erforderlichen Bauchatmung.
- Zu bedenken sind Komplikationen, vor allem die Dehydratation durch beeinträchtigtes Trinkverhalten.
Diagnostik
Diagnostisches Vorgehen
- Die akute virale Bronchiolitis wird anhand klinischer Kriterien diagnostiziert.
- Diese bestehen im geringen Alter, im Kontakt zu potenziell infektiösen Kindern meist höheren Alters, initial den Zeichen einer üblichen Infektion der oberen Atemwege und sekundär den Zeichen einer akuten Erkrankung der unteren Atemwege.
Anamnese
- Erfragt werden sollte der mögliche Kontakt zu älteren Kindern mit akuten Atemwegsinfektionen.
- Zur Risikoabschätzung ist es erforderlich, Kenntnis von Frühgeburtlichkeit und Vorerkrankungen zu erlangen, konkret bronchopulmonale Dysplasie, Herzfehler, andere Grunderkrankungen.
Körperliche Untersuchung
- In der frühen Phase fällt bei der Inspektion die meist seröse Rhinitis auf.
- Die Manifestation an den kleinen Atemwegen führt typischerweise zu einer inhomogenen Ventilation mit Atelektasen und Überblähungsarealen. Diese manifestieren sich in geringer Thoraxbeweglichkeit, erkennbar an vergrößertem Thoraxdurchmesser posterior-anterior und Bauchatmung, bei Dekompensation auch Zyanose.
- Auskultatorisch kann ein buntes Bild bestehen, primär ein ubiquitär abgeschwächtes Atemgeräusch, auch feinblasige feuchte Nebengeräusche, bei Beteiligung der etwas größeren Atemwege auch Giemen.
- Die Komplikation der Dehydratation ist erkennbar an trockenen Schleimhäuten, geringer Urinausscheidung, im fortgeschrittenen Stadium auch Vigilanzminderung.
Labor
- Labordiagnostik ist weder zur Diagnosesicherung noch zur Verlaufskontrolle erforderlich.
- Zur Abschätzung des Schweregrads ist die Blutgasanalyse hilfreich.
Mikrobiologie
Molekularbiologie
- Die üblichen Erreger von Atemwegsinfektionen lassen sich per PCR ermitteln.
- In ausgewählten Fällen kann es bedeutsam sein, RSV zu identifizieren – wegen des bei diesem Erreger oft schwereren Verlaufs.
- Im Krankenhaus wird Erregerdiagnostik auch zur Kohortierung von Kindern mit gleichem Erreger durchgeführt.
Bildgebende Diagnostik
Röntgen
- Röntgenaufnahmen des Thorax liefern den Befund einer inhomogenen Ventilation mit minderbelüfteten überblähten Arealen, letztere oft in Form einer Oberlappenatelektase rechts.
- Erforderlich ist die Untersuchung weder zur Diagnosestellung noch zur Verlaufskontrolle, allenfalls zur Identifizierung von Komplikationen wie größeren Atelektasen.
Differenzialdiagnosen
- Bedacht werden müssen andere Infektionen der unteren Atemwege, einerseits die obstruktive Bronchitis, andererseits die Pneumonie.
- Fließende Übergänge sind möglich bis üblich.
- Die erstgenannte Diagnose hat in Einzelfällen therapeutische Konsequenzen, weil bei der Bronchitis die Inhalation von Salbutamol helfen kann.
- Selten, bei 1–2% der betroffenen Kinder, kommt es zur Komplikation einer bakteriellen Infektion der unteren Atemwege mit den üblichen Erregern. Daran sollte gedacht werden, wenn Kinder mit einer akuten viralen Bronchiolitis nach kurzer Besserung des klinischen Befunds erneut eine Zunahme der klinischen Zeichen aufweisen.
Therapie
Therapeutisches Vorgehen
- Die Behandlungsmöglichkeiten für die akute virale Bronchiolitis beschränken sich auf unterstützende Maßnahmen.
- Bei mildem Verlauf genügt die Beobachtung mit Eingreifen bei Verschlechterung, beispielsweise Flüssigkeitszufuhr bei verminderter Flüssigkeitsaufnahme.
- Auch bei der akuten viralen Bronchiolitis ist die enterale Zufuhr der parenteralen vorzuziehen.
- Ein limitierender Faktor der nasogastralen Sonde kann sein, dass damit die oberen Atemwege zusätzlich verlegt werden.
- Daher ist die orogastrale Sonde vorzuziehen.
- Bei schwerem Verlauf ist es bedeutsam, die Atmung durch die Nase zu erleichtern; durch Absaugen von Sekret, Reinigung mittels isotoner Kochsalzlösung und – zeitlich auf wenige Tage befristet – auch abschwellenden Nasentropfen wir Xylometazolin, vor allem vor dem Füttern.
- Sinkt die Sauerstoffsättigung bei Raumluft auf unter 92%, nach amerikanischen Empfehlungen auf unter 90%, ist Sauerstoff zuzuführen, primär per Low-Flow-System über Nasenbrille, in den letzten Jahren zunehmend auch per High-Flow-System über Nasenbrille, bevorzugt angefeuchtet und angewärmt.
- Eine Alternative und im Einzelfall Steigerung der Behandlung besteht in der Umstellung auf CPAP, nicht invasive Beatmung (NIV), selten Intubation und Beatmung. Indikationen zur Eskalation sind unzureichende Oxygenierung, schwere Tachydyspnoe oder schwere Apnoe-Episoden.
Allgemeine Maßnahmen
- Auf die Durchgängigkeit der Nase ist besonderer Wert zu legen.
- Die Oberkörper-Hochlagerung kann die Atmung erleichtern.
Pharmakotherapie
- Außer der Zufuhr von Sauerstoff und abschwellende Nasentropfen hat sich keine Pharmakotherapie bei der akuten viralen Bronchiolitis bewährt.
- Im Einzelfall, insbesondere bei Beteiligung auch der Bronchien in Form einer obstruktiven Bronchitis, kann Salbutamol eingesetzt werden.
- Der Erfolg ist kritisch zu prüfen.
- Bei ausbleibendem Nutzen sollte die Behandlung wieder beendet werden.
- Vergleichbare Behandlungsversuche mit Ipratropiumbromid oder Adrenalin sind möglich.
- Es gelten die gleichen Empfehlungen zur Beendigung bei Erfolglosigkeit.
- Für einen geringen Nutzen der Inhalation hypertoner, konkret 3%iger oder noch höher konzentrierter Salzlösung, gibt es vereinzelte Hinweise. Für eine allgemeine Empfehlung reicht die Datenlage nicht aus.
- Für einen Behandlungsversuch mit systemischen oder inhalativ verabreichten Glukokortikoiden gibt es in der Literatur keine Evidenz.
- Der Einsatz von Antibiotika ist bei der akuten viralen Bronchiolitis so gut wie nie erforderlich. Nur 1–2% der Kinder bekommen eine bakterielle Komplikation.
Verlauf und Prognose
- Milde Symptome können sich nach akuter viraler Bronchiolitis lange halten. Etwa die Hälfte aller Kinder hat im weiteren Leben obstruktive Bronchitiden, vor allem dann, wenn Rhinovirus ursächlich war und eine Atopie besteht.
- Ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe besteht bei:
- Frühgeburtlichkeit mit oder ohne bronchopulmonale Dysplasie
- angeborenen Herzerkrankungen
- kongenitaler oder erworbener Lungenerkrankung
- neuromuskulären Erkrankungen
- Down-Syndrom
- Immunmangel-Syndromen
Prävention
- Für Patienten mit erhöhtem Risiko für schwere Verläufe einer akuten viralen Bronchiolitis stehen humanisierte monoklonale Antikörper gegen RSV zur Verfügung.
- Der bis vor kurzem einzige Wirkstoff Palivizumab musste bei gegebener Indikation einmal monatlich über die erste und in sehr speziellen Fällen die zweite RSV-Saison hinweg intramuskulär verabreicht werden.
- Mit Nirsevimab steht ein weiterer monoklonaler Antikörper zur Verfügung, der nur noch einmal präsaisonal verabreicht werden muss.
- Als weitere Option zur Prävention der RSV-Bronchiolitis zeichnet sich die Impfung gegen RSV der werdenden Mutter während der Schwangerschaft mit resultierenden Nestschutz des Kindes in den ersten Lebensmonaten ab.
Quellenangaben
- Nüßlein T. Bronchiolitis. In: Kerbl R, Reiter K, Wessel L, Hrsg. Referenz Pädiatrie. Version 1.0. Stuttgart: Thieme; 2024.
Literatur zur weiteren Vertiefung
- [1] Florin TA, Plint AC, Zorc JJ. Viral bronchiolitis. Lancet 2017; 389: 211–224, Suche in: PubMed Google Scholar
- [2] Schorlemer C, Eber E. Akute virale Bronchiolitis und obstruktive Bronchitis bei Kindern. Monatsschr Kinderheilkd 2020; 168: 1147–1157, Suche in: PubMed Google Scholar
Herausgeber*innen, Autor*innen
Herausgeber*innen: Reinhold Kerbl, Karl Reiter, Lucas Wessel
Autor*innen: Thomas Nüßlein
eRef-Link: https://eref.thieme.de/ebooks/cs_22978563#/ebook_cs_22978563_cs114368